Bolivien - Jucker - Kakteen      

 
 











Feldarbeit
Etappe 10
Rio Chico -Tarabuco - Chunca Cancha - Presto - Zudañez
November, Dezember 2003

Alle Bilder in dieser Etappe wurden ausser den Kulturfotos ab Dias digitalisiert.
Auf dieser Reise möchte ich nordwestlich von Sucre im zentralen Südteil des Landes nähe Mündungsgebiet Rio Chico - Rio Grande die Standorte der Sulcorebutia callichroma aufsuchen. Von dort wandere ich weiter auf einer Gebirgskette bis südlich von Presto, um weitere Standorte zu lokalisieren.

In der Region von Presto reise ich weiter mit Bus und Lastwagen bis nach Chunca Cancha, um dort noch einmal die Standorte der Sulcorebutia juckeri aufzusuchen. Geplant war, von dort weiter nach Süden bis nach Camargo zu wandern. Wegen einer Lungeninfektion in Chunca Cancha musste ich jedoch mein Vorhaben abbrechen. Zurück in Sucre konnte ich mich von meiner Krankheit weitgehendst erholen und fuhr anschliessend mit dem Bus zurück nach Presto, von wo aus ich meine Wanderung bis nach Zudañez fortsetzte.

Landkarte: Rio Chico -Tarabuco - Chunca Cancha - Presto - Zudañez

La Paz - Donnerstag, 13. und Freitag, 14. November

Nach 25-stündiger Flugreise mit Stopp in São Paulo und weiter nach Santa Cruz komme ich fix und fertig mitten in der Nacht in La Paz an. Nach einer einstündigen Fahrt mit dem Taxi erreiche ich das Hotel Oberland in Mallasa. Der Nachtwächter war informiert und zeigt mir mein Zimmer.

Ich mache mir einen gemütlichen Tag und bereite mich für den Weiterflug am nächsten Tag vor. Mein Freund Walter, Besitzer vom Hotel Oberland und Touristenführer, ist mit einer Gruppe Schweizer für einige Tage zum Salar de Uyuni gefahren. Walter hat mir das Flugticket für den morgigen Weiterflug nach Sucre hinterlegt. Ich werde Walter erst bei meiner Rückkehr treffen können. Mehr Infos über La Paz siehe Etappe 6.

Sucre - Samstag, 15. November

Nach einem vierzigminütigen Flug bei schönstem Wetter erreiche ich um die Mittagszeit Sucre. Ein Taxi bringt mich ins Hotel Recoletta in der Nähe des Mercado Central. Anschliessend fahre ich zu dem Ort, wo die Lastwagen nach Azurduy fahren. Ein Fahrer, der gerade abfahrbereit ist, sagt, dass nur am Donnerstag und Freitag ein Lastwagen fahren würde. Für mich bedeutet das, dass ich bereits heute in einer Woche in Tarabuco sein muss, um weiter in die Cordillera Mandinga fahren zu können.

An der Plaza 25 de Maio nehme ich den Tourbus, der regelmässig zum Parque Cretácico fährt. Dieser etwas ausserhalb von Sucre gelegene Ort ist ein paläontologisch bedeutsamer Fundort von Dinosaurierspuren. Mehr Infos siehe Etappe 7 Sucre.

Zurück in Sucre mache ich verschiedene Einkäufe und tausche US-Dollar in Bolivianos. Dabei kam es in einer belebten Strasse im Zentrum beinahe zu einem geglückten Diebstahl. Ein Mann hat mir beim Gehen von hinten eine klebrige Masse auf mein T-Shirt gesprayt, um abzulenken. Ein anderer Mann machte mich darauf aufmerksam und gibt mir ein Taschentuch, um die klebrige Masse zu entfernen. Doch da war noch eine Frau, die dauernd um mich herumschlich. Schnell merkte ich, dass da was nicht stimmen kann und rannte weg. Schnell schaue ich nach, ob der Reissverschluss der Hosentasche, wo sich mein Geld befindet, noch geschlossen ist. Das war er glücklicherweise auch. Doch gleich unterhalb der Hosentasche hat die Frau meine Hose aufgeschlitzt. Das ist ärgerlich, weil es eine ganz neue Hose ist. Doch immerhin konnte ich das Schlimmste vermeiden. Im Hotel konnte ich den Schaden mit Nadel und Faden provisorisch flicken.






Sucre - Samstag, 15. November

Bereits um 6 Uhr steht mein Taxi bereit und fährt mich zur Busstation. Ein Bus nach Punte Arce gibt es nicht, aber ein Mikrobus bis nach Zurima. Also nehme ich diesen, und versuche von dort die restlichen 20 km irgendwie weiterzukommen. Die Strasse ist anfangs asphaltiert und mündet später in eine Schotterpiste. In Zurima warte ich eine Weile auf eine Mitfahrgelegenheit und studiere die Landkarte. Ich entschliesse mich jedoch nicht weiter nach Punte Arce zu fahren, sondern die in der Nähe gelegene Quebrada Quiqui Jana hoch zu laufen. Mit demselben Mikrobus fahre ich 2 km zurück und steige über grosse Flusssteine in diese nahegelegene enge Schlucht. Schon bald gabelt sich diese, und ich wandere weiter in das nach Südosten führende Tal.

Die für mich noch ungewohnte stechende Mittagssonne zwingt mich von einer Akazie zur anderen zu flüchten. An den steilen Felsen und Schutthängen schaue ich nach Vorkommen von Parodien. Doch zu meiner Überraschung entdecke ich eine ganz andere Kakteenart. Zuerst dachte ich, diese kleinen polsterbildenden Pflanzen mit kurzen Dornen könnten Sulcorebutien sein. Auch die Knospen seitlich am Körper deuten darauf hin. Doch die aus Samen herangewachsenen Pflanzen, HJ 950, haben gezeigt, dass diese in die Gruppe der Weingartia neogumingii gehören. In der Literatur ist sie auch unter Weingartia chiqui-chuquensis zu finden.

HJ 950 Weingartia neogumingii fa. (Weingartia chiqui-chuquensis)
Quebrada Quiqui Jana, Nähe Rio Chico, 2´130 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Oropeza, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 950 - Klon 2, 3, 2x4, 5, 8 und 26

Weiter wandere ich in das von Akazien bewachsene und immer breiter werdende Tal. An den steilen Bergflanken entdecke ich erneut einen Standort dieser Weingartia neogumingii und gebe dieser die Feldnummer HJ 950a.

Nach ungefähr4 km finde ich in einer kleinen Seitenschlucht einen von Moskitolarven besetzten Wassertümpel. Das einzige Wasser, das ich finden konnte. Auch wenn das Wasser nach faulen Eiern stinkt, sollte dieses nach dem Reinigen durch meinen Wasserfilter geniessbar sein.

Da mein Weg ganz in der Nähe nach Osten in die Berge führt, entschliesse ich mich für die Nacht im Flusstal zu bleiben. Auf offenem Feuer koche ich eine Fertigmahlzeit, Spätzle mit Schinken.

Camp 1. Tag in der Quebrada Quiqui Jana






Quebrada Quiqui Jana - Sonntag, 16. November

Nach einer Tasse Tee und einer warmen Suppe mache ich mich vor Sonnenaufgang auf den Weg, um die noch frischen Morgenstunden zu nutzen. Bevor ich den 600 m hohen Aufstieg zum Standort der Sulcorebutia callichroma in Angriff nehme, fülle ich meinen 4-Liter-Wassersack.

Der Weg führt jetzt nach Osten entlang eines ausgetrockneten Bachlaufs und später steil hoch durch niedriges Buschwerk. Dieser Weg zur kleinen Ortschaft Quiquijana scheint nicht oft benutzt zu werden, denn er ist mancherorts völlig zugewachsen. Mein Rucksack, weit über 30 kg, macht mir körperlich bereits zu schaffen, und auch das Gelände ist sehr schwierig zu begehen.

Nach sechs Stunden Aufstieg bei glühender Hitze gibt es ein Geschenk Gottes, frisches Quellwasser, wonach ich mich so lange gesehnt habe. Aber nicht nur das kühle Nass hat mich beglückt, sondern auch die dort blühenden Parodien, die Feldnummer HJ 951. Sie gehören in den Formenkreis der Parodia prestoensis.

HJ 951 Parodia prestoensis fa.
Estancia Quiquijana, 2´860 m, westich von Presto, mit Blick ins Tal der Quebrada Quiqui Jana, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Bald erreiche ich oben auf dem Gebirgskamm die kleine und kaum noch bewohnte Estancia Quiquijana. Dort im steinigen und sehr trockenen Gelände finde ich die ersten Sulcorebutia callichroma. Sie stecken teilweise kaum sichtbar und ausgetrocknet im Boden. Es scheint, als ob es hier seit langer Zeit nicht geregnet hat.

HJ 952 Sulcorebutia callichroma
Estancia Quiquijana, westich von Presto, 2´860 m, Blick ins Tal der Quebrada Quiqui Jana, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 952 Klon 1, 2, 6, 7, 9 und 21

Kutlurpflanzen: HJ 952 Klon 23, 24, 29, 41 und 44

Nach langer aber erfolgreicher Suche nach Samen wandere ich weiter auf diesem Gebirgszug in Richtung Norden. Bald bemerke ich, dass ich beim Fotografieren der Pflanzen meine Schildmütze habe liegen lassen. Die starken thermischen Winde haben diese jedoch irgendwohin in die Wildnis transportiert, und ich konnte sie nicht wiederfinden. Das ist natürlich ärgerlich, denn ohne Schildmütze mit Nackenschutz bei diesem Klima sieht mein Kopf bald aus wie ein Schmorbraten. Das ist nicht das erste Mal, dass ich auf meinen Wanderungen die Mütze verloren habe. Damals habe ich den unteren Teil der trennbaren Hosen als Kopfbedeckung benutzt, und das werde ich auch jetzt wieder tun müssen, auch wenn es sich etwas eng anfühlt.

Schon bald erreiche ich eine halbwegs befahrbare Strasse, die von Presto entlang der Gasleitung führt. Da es auf dieser eine beinahe steinlose flache Stelle gibt, baue ich das Zelt auf.

Camp 2. Tag, nördlich der Estancia Quiquijana

Dieser erste Tag in steilem Gelände und ungewohnt schwerem Rucksack hat mich bereits körperlich an die Grenzen gebracht. Dazu kommt, dass ich im oberen Fersenbereich Blasen bekommen habe, obwohl ich Zuhause die neu gekauften Schuhe gut eingelaufen habe. Zum Glück habe ich genügend Blasenpflaster dabei. Trotz meines Problems konnte ich es nicht lassen, noch einen abendlichen Rundgang zu machen. Dabei entdecke ich wieder Formen von Sulcorebutia callichroma, die HJ 953.

Kulturpflanze: Klon HJ 953-3 Sulcorebutia callichroma
nördlich Estancia Quiquijana, 2´870 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien






Nördlich Estancia Quiquijana - Montag, 17. November

In Äquatornähe ist es so, dass wenn sich am Horizont früh morgens die Sonne zeigt, es schon nach kurzer Zeit unangenehm heiss wird. So verzichte ich auf mein Frühstück, packe schnell zusammen und mache mich auf den Weg. Dort, wo sich die Strasse ins Tal schlängelt, wandere ich auf dem Gebirgskamm weiter nach Süden. In der Region des Cerro Chakoloma entdecke ich etwas abweichende Formen von Sulcorebutia callichroma, die HJ 954 und HJ 954a, an denen es genügend reife Früchte gibt.

Kulturpflanzen: Klon HJ 954 2, 20, 23 und 38 Sulcorebutia callichroma fa.
südöstlich Estancia Quiquijana, 2´950 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kulturpflanzen: Klon HJ 954a 3 und 4 Sulcorebutia callichroma fa.
Cerro Chakoloma, 2´940 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Es ist bereits Nachmittag geworden, als ich endlich am Schatten unter einer Akazie frühstücken und meine Blasen verarzten kann. Doch mein Hungergefühl ist bescheiden. Und das wenige Wasser hat lediglich gereicht, um meine Kehle etwas feucht zu halten.

Als ich mich wieder auf den Weg mache, konzentriere ich mich hauptsächlich darauf, Wasser und einen geeigneten Platz für die Nacht zu finden. Die Sonne hat sich bereits hinter dem Horizont verabschiedet, als ich erfreulicherweise in der Nähe eines Indiohofes einen Ort finde, wo die Menschen in einem ausgetrockneten Bachbett eine Quellfassung gebaut haben. Unweit davon gibt es auch einen idealen Ort, um zu campen.






Am Cerro Chunu Saruna - Dienstag, 18. November

Ich nutze die kühle Morgenluft und mache einen längeren Rundgang auf den flachen und steinigen Cerro Chunu Saruna. Zu meiner Freude wachsen gleich zu Beginn polsterbildende Sulcorebutien mit meist dunkler Epidermis und wirr ineinander verflochtenen Dornen. Sie gehören ebenfalls in den Formenkreis der Sulcorebutia callichroma, die HJ 955. Auch eine etwas abweichende Form wächst ganz in der Nähe, die HJ 956.

HJ 955 Sulcorebutia callichroma fa.
Cerro Chunu Saruna, 3´080 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 955 - Klon 5 und 8

HJ 956 Sulcorebutia callichroma fa.
Cerro Chunu Saruna, 3´080 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 956 - Klon 1 und 4

In der Region der Estancia Durazniyoj scheint mir das Gelände ideal für Kakteen zu sein, und ich nehme mir viel Zeit diese Region weitläufig zu erforschen. Es dauert auch nicht lange und ich entdecke die ersten Sulcorebutien, die HJ 957. Mir ist sofort aufgefallen, dass diese Sulcorebutien im Wuchs grösser sind als die Letztgefundenen. Verwelkte Blüten zeigen, dass diese in den Farben Rot geblüht haben. Wie sich später in Kultur zeigen wird, gehören diese in den Formenkreis der Sulcorebutia canigueralii. Diese sind hauptsächlich in der weitläufigen Region von Sucre verbreitet.

HJ 957 Sulcorebutia canigueralii fa.
Estancia Durazniyoj, 3´130 m, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 957 - Klon 1, 3, 5, 20 und 21

In der weiteren Umgebung der Estancia Durazniyoj entdecke ich wieder Populationen von Sulcorebutien canigueralii, die HJ 957a. Diese machen teilweise grosse Polster und können bis vier cm dick werden. Sie wachsen in sehr kargem, steinigem Boden, wo kaum Gräser gedeihen. Von hier hat man schöne Sicht auf den höchst gelegenen Berg in der Region - den Cerro Santiago.

HJ 957a Sulcorebutia canigueralii fa.
Estancia Durazniyoj, 3´100 m, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 957a - Klon 1, 2, 3, 4, 5 und 6

Kutlurpflanzen: HJ 957a - Klon 20, 23 und 26

In der gleichen Region zwischen Gräsern und niedrigen Sträuchern wächst wieder die Parodia prestoensis, die HJ 958, mit teilweise roten, orangen und gelben Blüten. Wobei zu sagen ist, dass diese Pflanze aus der weiteren Umgebung von Presto nur mit gelben Blüten bekannt ist.

HJ 958 Parodia prestoensis fa.
Estancia Durazniyoj, 3´100 m, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 958 - Klon 1 und 3

Nördlich des Cerro Santiago auf einer steinigen Ebene gibt es gute Möglichkeiten, das Zelt aufzubauen. Auch hier wachsen im kargen Boden teilweise sehr grosse bis fünf cm dicke Formen von Sulcorebutien canigueralii, die HJ 959. Vergeblich suche ich nach Wasser und muss wohl mit dem wenigen, das ich habe für die Nacht auskommen. Am Abend kommt kalter, stürmischer Wind auf, und ich koche meine Mahlzeit im Zelt auf einer Steinplatte.

HJ 959 Sulcorebutia canigueralii fa.
1 km südlich Estancia Durazniyoj, 3´095 m, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 401 - Klon 1






Nördlich Cerro Santiago - Mittwoch, 19. November

Bereits in der Nacht hat mich der Durst gequält, und ich konnte kaum schlafen. Es ist so zwischen Tag und Nacht, als ich mein Lager zusammenpacke und in Richtung Cerro Santiago wandere, um nach Wasser zu suchen. Unterhalb vom Gipfel zieht sich eine Bachrunse in Richtung Tal, die später in eine enge Schlucht mündet. Dort muss es Wasser geben, zumindest vermute ich das. Ich lasse meinen Rucksack stehen und gehe mit Wassersack seitlich am Berg entlang. Doch der Abstieg in diese enge Bachrunse ist nicht ganz ungefährlich. Ich habe gehofft, gleich zu Beginn fliessendes Wasser zu finden, doch ich werde enttäuscht. Mit akrobatischen Einlagen steige ich im Bachbett auf ausgewaschenen Felsen weiter in die Tiefe. Dann endlich entdecke ich eingeklemmt zwischen Felsen ein glasklarer Pool, was für eine Freude. Es ist so tief, dass ich darin baden kann. Sollte ich mich in diesem schwierigen Gelände verletzten, zum Beispiel ein Bein brechen, so würde mich hier kaum jemand suchen. Die Sonne steht senkrecht am Himmel, als ich mich weiter auf den Weg mache auf den ca. 150 m höher gelegenen Cerro Santiago. Kaum angelangt auf der steinigen und spärlich bewachsenen Gipfelregion finde ich wieder kleine Polster von kleinwüchsigen Sulcorebutien canigueralii mit kurzen Dornen, die HJ 960.

HJ 960 Sulcorebutia canigueralii fa.
Cerro Santiago 3´130 m, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 960 - Klon 2

Nur wenig weiter auf dem Gebirgskamm Richtung Süden entdecke ich weitere Formen von Sulcorebutien canigueralii mit schwarzen wie auch weissen Dornen, die HJ 961. Von hier oben hat man einen schönen Blick nach Osten ins besiedelte Tal des Rio Presto mit der gleichnamigen Ortschaft.

HJ 961 Sulcorebutia canigueralii fa.
Cerro Santiago, 3´200 m, Blick nach Süden, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 961 - Klon 1, 2, 3 und 5

Kutlurpflanzen: HJ 961 - Klon 9, 11 und 25

Seitlich am Berg wandere ich weiter in die Region des Cerro Lampasillo, wo ich nur noch wenige Sulcorebutien canigueralii finden kann in etwas abweichenden Formen, die HJ 962, HJ 962a und HJ 962b.

HJ 962 Sulcorebutia canigueralii fa.
Cerro Lampasillo, 3´120 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 962 - Klon 1, 2, 5, 7, 9 und 10

Kutlurpflanzen: HJ 962 - Klon 13, 20 und 23

Kutlurpflanzen: HJ 962b Sulcorebutia canigueralii fa. Klon 2, 5 und 20
südlich Cerro Lampasillo, 3´025 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Fast am Ende dieses Gebirges, bevor der Weg ins Tal führt in die kleine Ortschaft Thula Pampa, campiere ich direkt am Weg. Wie gestern schon habe ich am Nachmittag vergeblich nach Wasser gesucht, und das wenige reicht gerade noch für eine Pfanne voll Tee. Es ist bereits am Eindunkeln, als ein alter Mann mit Esel grüssend an mir vorbeitrampelt in Richtung Tal.






Region von Thula Pampa - Donnerstag, 20. November

Es ist so ca. zwei Uhr morgens, als ich lautes Schwatzen höre. Bald stehen finstere Gestalten mit dicken Ponchos, warmen Mützen und Öllampe in ziemlich aggressiver und unfreundlicher Manier vor meinem Zelt. Die Männer kommen von Thula Pampa unten aus dem Tal und wollen wissen, was hier oben ein Gringo zu suchen hat. Der alte Mann mit Esel von gestern hat über mich berichtet. Die älteren Männer sprechen nur die Quechua Sprache, und so wusste ich lange nicht, was sie von mir wollen. Doch da ist noch ein etwas jüngerer Mann, der Spanisch spricht. Erfolglos versuche ich zu erklären, was ich hier mache. Ich könne hier nicht bleiben, sagt der Mann, und ich müsse mit ins Dorf kommen. Ich habe mich zuerst geweigert, doch dann wurde die Stimmung langsam ungemütlich, ja sogar bedrohlich, und so packe ich meine Sachen zusammen. Widerwillig muss ich meinen Pass abgeben. Sofort kamen unschöne Erinnerungen auf aus dem Ayopaya-Gebiet nördlich von Cochabamba, wo ich im Jahre 2002 an zwei Orten eingesperrt wurde.

Mit Stirnlampe in absoluter Finsternis marschiere ich inmitten dieser Menschenkolonne in unwegsamen und steilen Gelände in Richtung Tal. Nur der Frontmann hat eine Öllampe dabei, die restlichen Männer trampeln in ihren Sandalen im Dunkeln ohne jegliche Sicht. Für die meisten Gringos wäre das kaum möglich, ohne sich zu verletzen. Im Dorf angekommen versammeln wir uns im Schulhaus ringförmig verteilt zwischen Schulbänken. Aus dem Dorf sind jetzt auch noch einige Weiber dazu gekommen. Die Öllampe auf dem Tisch spendet nur wenig Licht, und die furchigen Gesichter sind kaum zu erkennen. Die Stimmung wirkt wie in einem gruseligen Film. Es wird laut diskutiert, gegrölt und gelacht. Ich denke, sie machen sich lustig über mich und sind sich nicht einig, was mit mir geschehen soll. Dann beginnen einige der Männer Zigaretten zu drehen, so dick und gross wie Zigarren und lassen diese rauchend im Raum zirkulieren. Es scheint, als ob alle anwesenden Kettenraucher sind. Schon bald ist der Raum voller Qualm, so dick, dass man denken könnte, das Haus würde brennen. Fenster zum Lüften gibt es nicht, und die Türe bleibt wegen der Kälte geschlossen. Dieser ätzende und unangenehme Gestank, der mir die Augen tränen lässt, deutet darauf hin, dass dieser Tabak aus eigener Produktion stammen muss.

Aussergewöhnlich ist, dass diese Menschen überhaupt rauchen, den auf dem Lande ist dies unüblich. Es ist bereits fünf Uhr morgens geworden, als der Spanisch sprechende Mann zu mir kommt und sagt, ich müsse 100 US-Dollar bezahlen, um meine Freiheit zu erlangen. Ich werde also ohne jeglichen Grund mit Geld erpresst. Nach langem Verhandeln waren sie jedoch mit 100 Bolivianos zufrieden, das sind ca. 15 Franken. Danach geben sie mir den Pass zurück. Für mich ist das wenige Geld kein grosser Verlust. Wie schon oft auf meinen Reisen in Bolivien spende ich gerne etwas Geld für einen guten Zweck, aber nicht für Halunken, das ist frustrierend. Für die Dorfbewohner hier könnte dies jedoch der Anfang vom Ende ihrer Würde sein, und irgendwann gibt es hier keine ehrlichen Menschen mehr, sondern nur noch ein Volk von Banditen. Ich habe Verständnis, dass, wenn ein Fremder in der Nähe von Siedlungen campiert, sich die Menschen vor allem wegen Viehdieben unsicher fühlen, von denen man oft zu hören bekommt. Wenn ich in der Nähe eines Indiohofes die Nacht verbringen möchte, frage ich die Leute immer um Erlaubnis und erkläre mein Vorhaben. Dabei gab es meistens nie Probleme, im Gegenteil, die Leute sind meist sehr gastfreundlich.

Ziemlich verärgert und dennoch glücklich, dass nichts Schlimmeres passiert ist, wandere ich mit etwas wackeligen Beinen weiter talwärts in Richtung Strasse, die von Presto nach Tarabuco führt. Kurz davor verengt sich das Tal und ist umklammert von steilen Felsen. In diesen wachsen gut sichtbar kleine weisse bis bräunlich bedornte Kakteen. Wie sich herausstellt, gehören diese in den Formenkreis der Aylostera fiebrigii, die HJ 963. Die meisten Pflanzen wachsen unerreichbar zwischen Felsen, und dennoch konnte ich ein paar wenige Samen ergattern.

Kulturpflanzen: HJ 963 Aylostera fiebrigii fa. Klon 6, 7 und 8
Schlucht bei Kkollun Pampa, ca. 3km südlich Presto, 2´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Ich stand nur wenige Minuten an der Strasse, als ein moderner Bus von Presto gefahren kommt. Obwohl ein grosses Gedränge herrscht, bekomme ich ganz hinten einen Sitzplatz. Zum Glück fällt meine schmutzige und stinkende Erscheinung nicht sonderlich auf, da die meisten Passagiere ebenfalls so sind. Doch einen kleinen Unterschied gibt es dennoch. Bei einigen, auch bei jungen Menschen, fehlen teilweise bereits die Zähne. Das hat damit zu tun, dass auf dem Lande es kaum Zahnärzte gibt. Auch die Zahnhygiene lässt zu wünschen übrig, da oft das Geld für eine Zahnbürste fehlt.

Es ist immer noch früh am Morgen, als wir Tarabuco erreichen. Eigentlich war geplant, hier auszusteigen. Doch weil der Lastwagen erst morgen Nachmittag von Sucre kommend in die Cordillera Mandinga fährt, entschliesse ich mich sitzen zu bleiben und fahre weiter nach Sucre.

Nachdem ich mich im Hostal Recoleta Sur einquartiert habe, freue ich mich auf ein Stück Fleisch und ein kühles Bier. Auf dem Markt kaufe ich eine Schildmütze, Milchpulver und Blasenpflaster. Auch der Rückflug von Tarija nach La Paz bei der Fluggesellschaft Aero Sur kann ich buchen. Ebenfalls ein Paket mit den belichteten Filmen und Samen kann ich per Flugpost an meinen Freund Walter nach La Paz schicken. Dann endlich ist die Zeit gekommen für das lang ersehnte Telefon nach Hause. Alles bestens, doch Dora vermisst mich sehr.






Sucre - Freitag, 21. November

Der Mercado Central hat erst gerade geöffnet, als ich mir beim Fruchtstand einen grossen Fruchtsalat gönne, mit frischgepresstem Orangensaft. Es ist meine letzte Vitaminspritze vor meiner Weiterreise. Danach fahre ich zu dem Ort, wo die Lastwagen nach Azurduy fahren. Bereits werden Säcke mit Getreide, Mais, Bohnen, Zucker und Früchten geladen. Aber auch allerlei andere Sachen, die man zum Leben braucht.

Als die Fahrt endlich losgeht, stoppt der Lastwagen immer wieder und es werden noch mehr Güter geladen. Die Sonne brennt gnadenlos und die Indios verkriechen sich unter ihre Ponchos. Nur der Gringo lässt sich an der Sonne schmoren und begnügt sich mit ein bisschen Sonnencreme. In Tarabuco angekommen, werden wieder Güter ab- und aufgeladen. Als die Fahrt weiter geht, ist der Lastwagen wieder ziemlich voll beladen. Die Zustände auf der Ladebrücke sind chaotisch, denn jeder, sei es jung oder alt, möchte den besten Sitzplatz ergattern.

Lastwagenfahrt von Tarabuco nach Icla mit Sicht auf die Ebene von Icla

Auf einer Schotterpiste erreichen wir nach zwei Stunden die Plaza in Icla. Alle Indios verlassen mit ihrem Gepäck den Lastwagen. Es scheint, als ob hier Endstation ist. Nach einer Weile warten, frage ich den Fahrer, wann er gedenke weiter zu fahren. Zu meinem Schrecken sagte er, morgen früh. Und als ich die Leute nach einer Unterkunft oder Restaurant frage, bekomme ich die niederschmetternde Antwort, es gäbe nichts dergleichen, was für ein Frust. Ich muss mir wohl oder übel einen Schlafplatz auf der Ladebrücke einrichten. Zum Glück gibt es genügend Mehl und Zuckersäcke, die eine mehr oder weniger erträgliche Unterlage bieten für die Nacht. In einem kleinen Lebensmittelladen nebenan kaufe ich Mineralwasser und ein Stück eingetrocknetes Brot. Ansonsten verpflege ich mich aus dem Rucksack.

Übernachtung auf dem Lastwagen in Icla, kurz vor der Weiterfahrt






Icla - Samstag, 22. November

Gut geschlafen ist wohl übertrieben. In der Nacht habe ich immer wieder Hustenanfälle bekommen und sämtliche Glieder schmerzen. Dazu fühle ich mich schlapp und ausgemergelt. Bald ist der Lastwagen wieder voll besetzt mit Leuten, auch Mütter mit kleinen Babys und dazu viel Kleinkram, was Menschen ebenso brauchen für ein bescheidenes Leben. Es ist bereits später Morgen, als wir das Dorf verlassen. Doch etwas ausserhalb, wo nur noch wenige Häuser stehen, macht der Lastwagen bereits wieder Halt. Dort stehen zwei weitere mit Gütern beladene Lastwagen, und es wird reger Handel betrieben.

Die Menschen kommen von überall her, und es werden Waren getauscht oder gekauft. Es sind fahrende Märkte, die durch abgelegene Gebiete fahren, dazu gehört dummerweise auch mein Lastwagen. Wieder frage ich den Fahrer, wann die Fahrt weiter geht. Morgen sagt er. Das darf doch nicht wahr sein. Etwas frustriert verkrieche ich mich unter eine Akazie und verbringe die Zeit mit Tagebuch schreiben.

Je länger, je mehr spüre ich, dass ich gesundheitlich angeschlagen bin. Immer wieder bekomme ich Hustenanfälle so stark, dass die Lunge schmerzt. Die Sonne steht tief am Horizont, als ich beobachte, dass die Menschen auf meinem Lastwagen um die besten Plätze für die kommende Nacht kämpfen. Zurück auf der Ladebrücke sehe ich, dass mein bequem eingerichteter Schlafplatz um die Hälfte kleiner geworden ist und ich die Nacht nur sitzend verbringen kann.

Neben mir sitzt eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern auf ihrem Schoss. Die Frau fragte, ob ich ein Kind für kurze Zeit übernehmen könne. Ja, sicher, sage ich, und ruck zuck habe ich auch ein Kind auf meinem Schoss. Doch nach einer Weile fängt es fürchterlich an zu stinken. Ich vermute, das Kind hat in die Hosen gemacht. Doch die Frau wollte das Kind nicht zurück. Das war des Guten zu viel, Großzügigkeit hin oder her.

Fahrender Markt bei Icla

Es ist bereits Nacht geworden, als ich meine Sachen packe und meinen Schlafsack neben dem Lastwagen auf der Zeltplane ausrolle. Mein Husten ist unerträglich geworden, und ich schaue in meiner Medikamenten-Box, welches Antibiotikum für eine mögliche Lungeninfektion infrage kommt. Das Medikament Ciproxin 500 mg scheint sich am besten zu eignen, obwohl es verschiedene Nebenwirkungen geben kann.

Es ist so um Mitternacht, als ich überfallen werde mit heftigen Schüttelfrösten und mir ist kalt, obwohl die Temperatur angenehm ist. Dazu ist mir schwindelig, als ob mein Kreislauf zusammenbrechen würde. Ich dachte, meine letzte Stunde hat geschlagen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass diese Symptome vom Antibiotikum ausgelöst wurden.






Icla - Sonntag, 23. November

Ein neuer Tag macht sich langsam bemerkbar, als bei den Lastwagen bereits wieder Waren gekauft und getauscht werden. Ich habe wenig geschlafen, fühle mich jedoch zunehmend besser. Bin optimistisch, dass ich die Reise fortsetzen kann.

Die Sonne steht schon weit über dem Horizont, als die übrig gebliebene Ware wieder auf die Lastwagen geladen werden. Eingeklemmt zwischen Menschen und sperrigem Kram, der bei uns normalerweise entsorgt wird, finde ich ganz hinten auf der Ladefläche einen halbwegs erträglichen Stehplatz.

Die Fahrt weiter auf die Cordillera Mandinga erinnert mich an meine erste Bolivienreise von 1993, wo ich während Tagen auf dieser Strasse an praller Sonne gewandert bin. Über zwei Pässe gelangen wir in das Hochtal bei Huayllas am Fusse des Cerro Cantarcallo, wo nur zwei Häuser stehen. Obwohl hier oben auf 3´600 m wenig Menschen leben, parkieren die drei Lastwagen auf einer flachen Wiese. Und wieder werden Säcke mit Grundnahrung und dem üblichen Kram abgeladen. Ich weiss nicht, woher plötzlich so viele Menschen gekommen sind, auf jeden Fall wird wieder fleissig getauscht und gekauft.

Wie immer in einer solchen Situation frage ich den Fahrer, wann die Fahrt weiter geht. Am späteren Nachmittag höre ich. Ausnahmsweise bin ich sogar glücklich über diesen mehrstündigen Aufenthalt, denn in dieser Region habe ich 1993 die damals noch unbekannte Sulcorebutia cantargalloensis HJ 407 erstmals gefunden (siehe Etappe 9). Ich nutze deshalb die längere Wartezeit und mache mich auf die Suche nach weiteren Standorten.

Das Antibiotikum scheint zu wirken, und mein Husten hat etwas nachgelassen. Was mich jetzt beschäftigt, sind die immer noch schmerzhaften eingetrockneten Blasen an der hinteren Ferse. Um die Druckstelle der Blasen im Schuh zu entlasten, schneide ich ein Teil der Polsterung heraus, und siehe da, es ist wesentlich besser geworden.

Bereits nach ungefähr hundert Höhenmeter Aufstieg am felsigen Steilhang gegenüber wurde ich fündig. Oft kaum sichtbar wachsen diese kleinwüchsigen und meist schwarz bedornten Sulcorebutien cantargalloensis, HJ 964 eingeklemmt zwischen Felsen.

Fahrender Markt am Fusse des Cerro Cantarcallo, mit Standort der HJ 964 Sulcorebutia cantarcalloensis
Huayllas, nördlich Cerro Cantarcallo, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Nachdem ich eine Pflanze mit gelber Blüte finde, dachte ich, alle Pflanzen hätten diese Blütenfarbe, so wie meine HJ 407, die ich in der gleichen Region entdeckt habe. Die Überraschung war jedoch gross, als Jahre später die aus Samen herangewachsenen Pflanzen erstmals begannen zu blühen, nämlich in verschiedenen Farbtönen.

Kutlurpflanzen: HJ 964 Sulcorebutia cantarcalloensis Klon 1, 2, 10, 14, 18 und 19
Huayllas, nördlich Cerro Cantarcallo, 3´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 964 - Klon 20, 21, 22, 44, 46 und 48

Kutlurpflanzen: HJ 964 - Klon 50, 2x51 und 52

Es ist Nachmittag geworden, als ich vom Berg oben beobachte, dass die Fahrenden ihre Verkaufsstände abbrechen. Ich beeile mich, um rechtzeitig ins Tal zu gelangen.

Auf der Weiterfahrt in diesem Hochtal Richtung Süden herrscht auf der Ladefläche weiterhin Platzmangel und ein Gedränge. Ich bin überrascht, als der Fahrer kurz vor der Passhöhe rechts abbiegt in Richtung Chunca Cancha. Auf meiner Wanderung 1993 gab es dorthin nur einen Fussweg. Doch für mich ist das ideal, denn von dieser kleinen Ortschaft führt ein Weg direkt zu den Standorten der Sulcorebutia juckeri.

Oberhalb vom Dorf Chunca Cancha werden die Verkaufsstände wieder aufgebaut und das Prozedere beginnt von Neuem. Da es hier eine flache Wiese gibt, baue ich mein Zeltlager auf. Wieder übernachten zahlreiche Menschen auf dem Lastwagen. Ich bin zu müde, um etwas Warmes zu kochen und verkrieche mich schnell in den Schlafsack. Das Antibiotikum wirkte wie eine Narkose.

Camp mit fahrendem Markt oberhalb Chunca Cancha






Chunca Cancha - Montag, 24. November

Am Morgen fühle ich mich schlapp und müde und kann kaum auf den Beinen stehen. Ich denke, die Strapazen der letzten drei Tage waren etwas zu anstrengend. Bin jedoch zuversichtlich, dass es mir bald wieder besser geht. Etwas wackelig wandere ich auf der Westseite der Cordillera in Richtung Süden. Der Weg führt später steil hoch auf ein Felsband. Schon bald geht mir die Puste aus und ich bin völlig erschöpft. Erst jetzt realisiere ich, dass ich gesundheitlich schwer angeschlagen bin. Es ist somit sehr fraglich und ungewiss, ob ich meine Wanderung nach Camargo fortsetzten kann. Das heutige Ziel ist, zum Standort der Sulcorebutia juckeri zu gelangen, um die fehlenden Informationen zu bekommen, die es für eine Publikation braucht.

Blick auf die Anbaufelder von Chunca Cancha

Die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel und schwächt mich zusätzlich. Dennoch erreiche ich kurz vor Mittag den vorgelagerten etwas flachen Gebirgskamm mit den ersten Vorkommen der Sulcorebutia juckeri HJ 410. Auf meiner ersten Reise 1993 ist mir kaum aufgefallen, wie unterschiedlich sich diese Pflanzen am Standort entwickeln. Da gibt es grosse kugelige, solitäre oder sprossende Pflanzen mit langen, ineinander verflochtenen Dornen. Kaum sichtbar im Boden wachsen zudem auch flachkuglige Pflanzen mit kurzen Dornen und auffallend wulstigen Höckern. Ich fotografiere deren Vielfalt und mache Notizen.

HJ 410 Sulcorebutia juckeri
4 km südlich Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´400 m, Dep. Chuquisaca, Jaime Zudañez, Bolivien

Ich kann mich erinnern, dass etwa 3 km weiter auf dem nächsten vorstehenden Gebirgskamm es weitere Vorkommen von Sulcorebutia juckeri gibt. Schwach auf den Beinen schleppe ich mich langsam mit viel Pausen den Berghang entlang nach Süden. Kurz bevor ich mein Ziel erreiche, gibt es glücklicherweise fliessendes Wasser und einen schattigen Ort unter einem Polylepis-Baum.

Dort habe ich mich hingelegt und bin sofort eingeschlafen. Erst als mir kalt wurde und es dunkel geworden ist, bin ich etwas verwirrt aufgewacht. Mit Stirnlampe mache ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Nachtlager. Glücklicherweise werde ich ganz in der Nähe etwas oberhalb vom Bach fündig. Das Aufbauen vom Zelt hat ewig gedauert. In der Nacht bekam ich wieder Hustenanfälle, dieses Mal mit blutigem Auswurf verbunden mit Schüttelfrösten, was nichts Gutes bedeutet. Ich vermute jetzt, dass ich mir auf dem Lastwagen eine bakterielle Lungenentzündung eingefangen habe. Ich nehme weiterhin Antibiotikum-Tabletten. Aber wie ich auf der Packung lesen kann, sollen diese die Müdigkeit erhöhen, und das ist bei mir zweifellos der Fall.

Mein Camp am Standort der Sulcorebutia juckeri mit Blick auf den Cerro Colorado nach Westen

Puya humilis
7 km südlich Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´400 m, Dep. Chuquisaca, Jaime Zudañez, Bolivien






Am Standort der Sulcorebutia juckeri - Dienstag, 25. November

Als ich aufwache, liege ich völlig durchgeschwitzt im Schlafsack. Ist ja auch nicht verwunderlich bei 40° im Zelt bei praller Mittagssonne. Wie konnte das bloss passieren? Ich krieche aus dem Zelt und suche Schutz unter dem Polylepis-Baum von gestern. Nach dem ich mich etwas erholt habe von diesem Hitzeschock, mache ich mich erneut auf die Suche nach weiteren Vorkommen der Sulcorebutia juckeri. Ganz in der Nähe von meinem Camp auf dem erwähnten Gebirgskamm werde ich bald fündig. Dabei liege ich oft am Boden und beschäftige mich mit Fotografieren der Pflanzen und mache Notizen. Doch obwohl die Sonne erbarmungslos herunterknallt, bin ich irgendwann für längere Zeit eingeschlafen. Erst als ich mir Arme und Beine an der Sonne verbrannt habe, bin ich aufgewacht. Je länger, je mehr wird klar, ich bin todkrank. Es macht mir richtig Angst, Angst es könnte noch schlimmer kommen.

HJ 410 Sulcorebutia juckeri
7 km südlich Chunca Cancha, Cordillera Mandinga, 3´400 m, Dep. Chuquisaca, Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 410 - Klon 17, 19, 24, 28 und 44

Der nahe gelegene Bach und der Polylepis-Baum, der wie ein Sonnenschirm schräg über dem Felsen hängt, ist mittlerweile mein lebensrettendes Zuhause geworden. Ich mache es mir bequem und koche widerwillig eine Älpler Makkaroni, in der Hoffnung, der Hunger kommt dann schon. Doch fehlgeschlagen - kein Hunger. Nach ein, zwei Löffel war fertig mit Essen. Ich mache mir Gedanken, wie es mit mir weiter gehen soll. Doch alle Fantasien was ich in meinem erbärmlichen Zustand vielleicht doch noch unternehmen könnte, ist Wunschdenken und fahrlässig. Es gibt nur eine vernünftige Lösung - zurück nach Chunca Cancha und weiter nach Sucre. Ich werde morgen zu der weiter südlich gelegenen Hacienda Trancas gehen und fragen, ob jemand bereit ist, meinen Rucksack zurück nach Chunca Cancha zu tragen.






Am Standort der Sulcorebutia juckeri - Mittwoch, 26. November

Mein Husten hat sich in der Nacht etwas beruhigt, und ich konnte für einige Stunden recht gut schlafen. Ich fühle mich besser, obwohl es sich anfühlt, als hätte ich tagelang nicht geschlafen. Dass ich am Ende meiner Kräfte bin, macht sich wieder bemerkbar, als der Weg steil hoch auf eine Kuppe führt. Dort ist die Sulcorebutia juckeri wieder zahlreich verbreitet. Ich kann es jedoch nicht lassen und mache weitere Fotos und Notizen. Von hier oben sieht man bereits die Hacienda Trancas mit dem neu erbauten Schulhaus.

Estancia Trancas

Als ich am späteren Nachmittag das Schulhaus der Hacienda Trancas erreiche, sind die Schüler am Fussballspielen. Ich begrüsse den Lehrer, der vor der Schule steht und nach dem Rechten schaut. Ich sage ihm, ich sei sehr krank und würde gerne hier in der Schule übernachten. Sofort ist er einverstanden und begleitet mich ins Schulzimmer und zeigt in die Ecke, wo am Boden eine Matratze liegt. Weiter frage ich, ob es vielleicht jemand gäbe, der mich Morgen nach Chunca Cancha begleiten und mein Rucksack tragen würde. Ein junger Mann, er heisst Eduardo, steht etwas gelangweilt neben uns und sagt, ja, er würde das gerne machen, was für freundliche Menschen.

Kinder beim Fussballspielen vor dem Schulhaus der Estancia Trancas mit Lehrer links und meinem Begleiter

Ich erkläre dem Lehrer, was ich hier gemacht habe, und dass ich vor genau zehn Jahren hier schon einmal vorbeigewandert sei. Dabei hätte mich eine Familie zum Essen eingeladen, die hier ganz in der Nähe wohnt. Ich habe damals ein Familienfoto gemacht und zeige es ihm. Ja, sicher kenne ich diese Familie, sie wohnen etwas weiter oben, sagt der Lehrer. Dann plötzlich steht ein Mann vor uns, und der Lehrer sagt, das ist er, dieser Familienvater. Er will eines seiner Enkelkinder von der Schule abholen.

Der Lehrer zeigt ihm das Foto. Dieser schaut sich das Bild lange an, ohne sich daran zu erfreuen und steckt es danach in seine Jackentasche. Es gibt kein Dankeschön und auch kein Gruppenfoto von uns, das ich gerne gemacht hätte. Dann verschwindet der Mann mit seinem Enkelkind, ohne sich zu verabschieden, was für eine Enttäuschung. Hätte ich erahnen können, dass es so herauskommen würde, so hätte ich kein Foto mitgenommen.

Das mitgebrachte Familienfoto, Nähe Estancia Trancas, Bolivienreise 1993

Obwohl ich mich nicht danach fühle, setzte ich mich auf einen dieser kleinen runden Holzbänke der Schüler und schreibe Tagebuch, um die Geschehnisse der letzten Tage zu dokumentieren. Nach und nach kommen Frauen und Männer ins Schulzimmer und setzten sich mit Schreib- und Lesematerial an die Tische. Kurz danach steht der Lehrer an der Schreibtafel und beginnt mit dem Unterricht. Die Leute sind gekommen, um Lesen und Schreiben zu lernen. So wie mir der Lehrer sagt, steht das Schulhaus erst seit einigen Jahren. Davor konnten die Kinder nicht in die Schule. Deshalb können viele der Erwachsenen aus der Region weder lesen noch schreiben.






Beim Schulhaus Estancia Trancas - Donnerstag, 27. November

Auch in dieser Nacht ist mein Husten im Dauereinsatz und es fühlte sich an, als ob meine Lunge demnächst explodieren würde. Nachts irgendwo auf die Toilette zu gehen, war ein Kraftakt. Da hier möglicherweise meine Reise zu Ende ist, nehme ich nur noch einen Teil meiner Lebensmittel zurück nach Chunca Cancha. Als früh morgens der Lehrer nach mir schaut, zeige ich ihm die Lebensmittel und bitte ihn, diese an die Familien zu verteilen. Er bedankt sich und sagt, dass sich die Kinder über die vielen Süssigkeiten freuen würden. Diese hätten noch nie Schokolade gegessen. Pünktlich wie abgemacht steht Eduardo vor der Schule. Er hat noch einen Kollegen mitgebracht, der ihm abwechslungsweise hilft, den Rucksack zu tragen.

Ich bedanke mich beim Lehrer und wie immer, wenn ich in Schulhäusern übernachten darf, spende ich gerne etwas Geld, um fehlendes Schulmaterial zu kaufen. Als wir uns früh morgens auf den Weg machen, ist der Himmel wieder wolkenlos. Die beiden Jungs laufen wie die Ziegen davon und warten irgendwo, bis ich nachkomme, aber das dauert ewig in meinem Zustand. Ich sage ihnen, sie sollen nicht mehr auf mich warten und in Chunca Cancha meinen Rucksack bei der Schule oder im Centro de Salud (Notfallstation) abgeben. Immer wieder muss ich Pause machen und bin dabei des öfteren eingeschlafen. Ich komme kaum vorwärts und habe bedenken, Chunca Cancha noch rechtzeitig vor Dunkelheit zu erreichen. Dazu kommt, dass ich bei einer Bachüberquerung gestolpert bin und mir dabei die Beine aufgeschürft habe. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert.

Mein Weg zurück nach Chunca Cancha

Dann endlich, die Sonne steht schon tief am Horizont, als ich das steile Felsband mit weiter Sicht auf die abfallende Ebene von Chunca Cancha erreiche. Doch, wo sind eigentlich die Jungs geblieben? Die hätte ich doch schon längst treffen müssen bei ihrer Rückreise zur Estancia Trancas. Ich mache mir darüber ernsthafte Gedanken. Entweder habe ich geschlafen, als sie mich kreuzten oder sie sind gar nie nach Chunca Cancha gelaufen. Dabei habe ich ihnen gesagt, ich würde ihnen 100 Bolivianos bezahlen für ihren Einsatz. Kurz vor Dunkelheit erreiche ich die Schule.

Der eine Lehrer ist gerade am Nachtessen kochen, als ich ihn frage, ob hier ein Rucksack abgegeben wurde. Nein, sagt der Lehrer. Aber er hätte erfahren, dass dieser bei der Notfallstation deponiert worden sei, Gott sei Dank. Dort wurde ich von der zuständigen Señora herzlich empfangen. Sie wusste bereits, dass ich kommen würde. Sie zeigte mir sofort das Krankenzimmer, wo in der Ecke auch mein Rucksack mit komplettem Inhalt steht.

Ich bin gerührt und beeindruckt über die vielen guten und ehrlichen Menschen, obwohl die meisten in grosser Armut leben. Die Señora, die nur nach Bedarf die Notfallstation betreut, bringt mir Tee und später eine warme Suppe. Seit langem spüre ich wieder einen Hauch von Appetit, ein gutes Zeichen. Als ich im Schlafsack auf dem Bett liege, legt die Señora zusätzlich selbstgestrickte Decken über mich, ich müsse mich warm halten, sagt sie. Sie heisse übrigens Maria und wohne nebenan. Doch die vielen Decken waren des Guten zu viel. Mitten in der Nacht bekomme ich einen Schweissausbruch. Aber vielleicht war das gut für meinen Körper, denn am Morgen fühlte ich mich schon wesentlich besser.






Centro de Salud in Chunca Cancha - Freitag, 28. November

Draussen ist es noch halbwegs finster, als ich Buenas Dias höre, und schon steckt mir Maria ein Fieberthermometer ins Maul. Es zeigt 38,3°, also kein Grund zur Sorge. Schon bald steht eine grosse Kanne voll Tee und eine Portion gekochten Mais auf dem Tisch. Das gibt Kraft, sagt Maria. Ich schlucke weiterhin meine Antibiotikum-Tabletten. Am Nachmittag geht es mir schon wesentlich besser. Ich nutzte die Gelegenheit, um Kleider zu waschen und hänge diese bei Maria vor dem Haus an die Leine. Maria sagt, und das ist erfreulich, dass morgen Nachmittag ein Doktor aus Sucre auf Visite käme und am gleichen Tag wieder zurückfahren würde, was für ein Glücksfall. Bis in den Nachmittag habe ich mich gut gefühlt. Doch dann kam plötzlich wieder diese brutale Müdigkeit. Kaum aufs Bett gelegt, habe ich ohne jegliche Beschwerden bis am Morgen durchgeschlafen, als hätte man mich k.o. geschlagen.






Centro de Salud in Chunca Cancha - Samstag, 29. November

Heute Morgen fühle ich mich richtig gut und glaube, das Schlimmste überstanden zu haben. Wie gestern schon bringt mir Maria Tee und später eine warme Suppe. Ich packe meine Sachen zusammen und schreibe die Geschehnisse der letzten zwei Tage ins Tagebuch. Ich hoffe, ich kann in absehbarer Zeit wieder Erfreulicheres berichten. Da hier in Bolivien die Spitäler, Arztbesuche und Medikamente auf dem Land kostenlos sind, kann Maria nicht sagen, was ich schuldig bin. Ich klemme deshalb grosszügig einige Geldscheine unter die Teekanne und verabschiede mich dankend bei ihr.

Es ist früh am Nachmittag, als plötzlich ein Toyota Jeep mit zwei Ärzten vor der Tür steht. Nach einer herzlichen Begrüssung berichte ich ihnen über meine gesundheitlichen Probleme der letzten Tage. Wie ich mich jetzt fühle, fragt der eine Arzt. Besser, sage ich, obwohl noch etwas wackelig auf den Beinen. Der Arzt sagt, dass ich vermutlich durch Überlasten meines Körpers einen Schwächeanfall erlitten habe. Kann sein, doch dieser wurde durch meine Lungeninfektion ausgelöst. Das hat mir später auch mein Hausarzt bestätigt, der mir jeweils die Medikamente für meine Bolivien Reisen zusammenstellt.

Chunca Cancha Notfallstation

Die beiden Ärzte sind gekommen, um Medikamente zu bringen und machen Hausbesuche bei kranken Menschen. Erst am späteren Nachmittag fahren wir los in Richtung Icla. Die beiden Ärzte sitzen vorne in der Kabine, ich hinten auf der Ladefläche, die nur oben und seitlich durch eine Plane geschützt ist. Der eine Arzt fährt, als sei er auf der Flucht, dies, obwohl die Schotterstrasse in schlechtem Zustand ist. Durch den Sog wird der Feinstaub direkt durch die offene hintere Ladefläche in meine Lunge transportiert. Zuerst hielt ich ein T-Shirt vor die Nase, doch als dies wenig hilft, stülpte ich meinen Schlafsack über den Kopf.

Auf der Holzbank fühlt es sich an, als ob man auf einem Presslufthammer sitzen würde. Zum Glück sind da noch die beiden Schlafsäcke der beiden Ärzte, auf denen ich es mir einigermassen bequem machen kann.

Kurz vor Dunkelheit erreichen wir Icla und nach insgesamt vier Stunden Staub schlucken, Tarabuco. Auf der Asphaltstrasse weiter nach Sucre kann ich mich von diesem Horrortrip wieder etwas erholen. Der Arzt fährt mich direkt ins Hostal Recoleta Sur, wofür ich mich herzlich bedanke. Wegen meiner staubigen und dreckigen Erscheinung hat mich der Mann an der Rezeption kaum wieder erkannt und sich anfänglich geweigert, mich zu empfangen.






Sucre - Sonntag, 30. November und Montag, 1. Dezember

Heute Morgen fühle ich mich besonders gut und fast wieder so, wie vor neun Tagen, als ich von meiner ersten Etappe nach Sucre zurückgekehrt bin. Und das Leiden der letzten Tage bleibt nur noch als böser Traum in Erinnerung. Erstmals werden wieder Fantasien wach, was ich mit den restlichen Tagen noch unternehmen könnte. Ich mache mir einen gemütlichen Tag und lasse mich in einem guten Restaurant mit einem kulinarischen Essen verwöhnen. Auch Dora konnte ich berichten, wie es mir in den letzten Tagen ergangen ist. Sie macht sich grosse Sorgen wegen meiner Gesundheit. Ich habe Dora gebeten Willi Gertel, den Sulco-Papst, anzurufen, um ihn zu fragen, was ich hier in der Region in den verbleibenden 14 Tagen noch unternehmen könnte, falls es meine Gesundheit zulässt.

Willi ist immer bestens darüber informiert, in welchen Gebieten bereits nach Kakteen gesucht wurde. Am nächsten Morgen bekomme ich überraschenderweise bereits ein Telefon von Dora. Willi hätte eine Reiseroute für mich zusammengestellt und diese per Fax geschickt. Und tatsächlich ist dieser bei der Reception angekommen. Meine Reise geht also zurück nach Presto und von dort zu Fuss nach Zudañez. Bin begeistert und gespannt, was es alles zu entdecken gibt auf dieser Tour. Ich muss mir neue Landkarten aus dieser Region besorgen und gehe aufs Instituto Geográfico Militar.

Wie mir dort gesagt wird, hätten sie alle Karten, die ich brauche, jedoch im Verkauf nur in Schwarz-Weiss. Ich frage, ob ich ihre farbigen original Landkarten ausleihen könne, um Kopien machen zu können. Erstaunlicherweise stimmte der Mann sofort zu und sagte, dass auf der gegenüberliegenden Strassenseite es eine Druckerei gäbe, und die würden das machen. Er sagte aber auch, dass ich die Karten trotzdem bezahlen müsse, was für ein schlauer Typ. Aber das ist o.k. für mich, denn auf den schwarz-weiss Landkarten kann man die Fusswege, Höhenlinien wie auch Flüsse kaum voneinander unterscheiden.

Anschliessend erkundige ich mich, wann morgen ein Bus nach Presto fährt, mache verschiedene Einkäufe und ändere meinen Flug. Statt von Tarija fliege ich jetzt von Sucre nach La Paz.






Sucre - Dienstag, 1. Dezember

Nach einem ergiebigen Frühstück packe ich meinen Rucksack und nehme nur das Allernötigste mit, um Gewicht zu sparen. Die wenigen Lebensmittel, die ich noch habe, werden wohl nur für einige Tage reichen. In einem komfortablen Reisebus fahre ich am frühen Nachmittag los und erreiche Presto am späten Nachmittag. Es gibt nur eine Pension in Presto und das ist das Casa Donia Elsa. Ein gepflegtes Haus mit Innenhof und Restaurant. Auffallend ist die blitzblank saubere Küche. Elsa Donia, die Besitzerin, sagt, sie hätte für einige Zeit in Spanien in einem Hotel in der Küche gearbeitet. Und zu meiner Überraschung sagt sie, dass vor ungefähr zwei Wochen hier in der Nähe in einer Schule ein Gringo festgehalten worden sei, was für eine Tragödie. Darauf antworte ich, dass ich derjenige gewesen sei. Sie war ziemlich perplex und wollte über das Geschehene mehr erfahren.

Casa Donia Elsa in Presto






Presto - Mittwoch, 2. Dezember

Noch vor Sonnenaufgang sitze ich reisefertig im Restaurant. Die Señora bringt Kaffee und Spiegeleier und Bananen zum Mitnehmen. Es ist strahlend schönes Wetter. Ich nutze die kühlen Morgenstunden und mache mich auf den Weg in Richtung Nordosten auf das zirka fünfhundert Meter höher gelegene Gebirge. Wie zu vermuten war, spüre ich bereits zu Beginn meines Aufstiegs, dass mein Körper noch nicht die gewünschte Leistung bringt. Zum Glück gibt es immer wieder schattenspendende Akazienbäume, wo ich längere Pausen mache.

Beginn meiner zweiten Etappe mit Blick auf Presto

Am späten Nachmittag kurz vor der Passhöhe in der Region der Estancia Tholar gibt es frisches Wasser und kurz danach einen flachen Ort, um das Zelt aufzubauen. Kakteen habe ich keine gefunden. Dennoch bin ich zufrieden, mein Tagesziel erreicht zu haben, wenn auch etwas erschöpft.

Camp östlich von Presto






Östlich von Presto - Donnerstag, 3. Dezember

Seit langem ist der Himmel wieder mit dicken Wolken bedeckt. Ich nutze diese kühle Luft und wandere für längere Zeit auf einem Gebirgskamm in Richtung Osten. Und dann endlich entdecke ich in den Felsen zwischen Gräsern und wenigen Puyas die ersten Sulcorebutien, die HJ 966. Vergleicht man diese Pflanzen mit denen auf der gegenüberliegenden Talseite von meiner ersten Etappe, so kann man deutliche Unterschiede erkennen. Doch erst Jahre später, als die aus Samen herangewachsenen Pflanzen erstmals begannen zu blühen, hat sich gezeigt, dass diese bei der Sulcorebutia pasopayana einzuordnen sind. Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Pflanzen befindet sich weiter nördlich von hier in der Region der Ortschaft Pasopaya.

HJ 966 Sulcorebutia pasopayana fa.
Pucapampa Loma, 3´070 m, 5 km nordöstlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 966 - Klon 1, 2, 6, 8, 11 und 12

Kutlurpflanzen: HJ 966 - Klon 15, 16 und 24

Kurze Zeit später, wo der Weg wieder in tiefere Lagen führt, finde ich oberhalb des Rio Saucuyo dieselben Pflanzen mit etwas kürzeren Dornen, die HJ 967.

Kutlurpflanze: HJ 967 Klon 5 Sulcorebutia pasopayana fa.
Cerro Puna Pampa, 3´020 m, 5 km nordöstlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Ich wandere oberhalb des Rio Saucuyo abwärts in Richtung Tal. Auf 2´800 m zwischen Steinplatten und lockerem Grasbewuchs wachsen wieder Sulcorebutien pasopayana, die HJ 968. Diese bis zu 2,5 cm dicken Pflanzen mit meist dunkler Epidermis und kurzen anliegenden Dornen sind besonders attraktiv. Es ist vermutlich das südlichste Vorkommen dieser Art, denn auf dem weiteren Weg nach Süden konnte ich keine mehr finden.

HJ 968 Sulcorebutia pasopayana fa.
östlich Estancia, 2´830 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 968 - Klon 1, 3, 5, 7 und 11

Als ich den Rio Pucara Pampa erreiche, gibt es reichlich fliessendes Wasser. Entlang dieses Bachbetts wandere ich noch eine Weile talwärts und finde später einen schönen Ort zum Campen. Ich nutzte die Gelegenheit und nehme ein erfrischendes Bad und wasche Kleider. Mein Hunger ist wieder da, wie zu alten Zeiten. Doch es gibt nur noch wenige Lebensmittel. Hätte ich erahnen können, dass ich mich so schnell von meiner Krankheit erholen würde, so hätte ich etwas weniger Lebensmittel in der Schule bei der Estancia Trancas hinterlassen. Aber mir war bewusst, als ich Sucre verlassen habe, dass es knapp werden würde. Wichtig ist, dass es mir gesundheitlich wieder besser geht.

Als ich später noch einen Rundgang im felsigen Gelände mache, entdecke ich eine Gruppe von Cleistokakteen. Diese bis zwei Meter hohen schlanken Pflanzen mit wenig gehökerten und gradlinigen Rippen machen kleine, unscheinbare und wenig öffnende Blüten. Nachforschungen haben ergeben, dass es sich um den Cleistocactus parfiflorus handelt.

HJ 996 Cleistocactus parfiflorus
Rio Pucara Pampa, 2´400 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien






Rio Pucara Pampa - Freitag, 4. Dezember

Als sich am Horizont der Tag langsam bemerkbar macht, wandere ich weiter talwärts. Der Himmel ist bedeckt und die Temperatur ist angenehm. Ich muss die Augen offenhalten, um den Weg aus dem Tal nach Osten in die Berge nicht zu verpassen. Es war etwas kniffelig und schwierig, den wenig begehbaren Trampelpfad zu finden. Nach ungefähr dreihundert Höhenmetern Aufstieg erreiche ich eine weite Ebene, wo weit verstreut einige Indiohöfe zu sehen sind. Beim erst gelegenen Hof, wo es auch eine Strasse gibt, die ins Tal von Presto führt, frage ich den Familienvater, ob ich hier für zwei Tage campieren darf, um Ausflüge in die umliegenden Berge zu machen.

Natürlich wollte er wissen, wieso ich mich gerade hier in dieser Region aufhalten möchte. Jorge ist sein Name und er ist sehr freundlich und sagt, ich könne das Zelt im Ziegengehege aufstellen. Doch dort ist es voll von Ziegendreck, ob ich vor dem Haus campieren darf, frage ich, kein Problem, sagt Jorge. Weiter sagt er, dass er sehr krank sei und kaum noch die Kraft hätte, den Hof zu bewirtschaften. Leider habe ich nicht verstanden, woran er erkrankt ist.

Oft gäbe es kaum genügend zu essen und die drei Kinder hätten nur zerlumpte Kleider. Das eine Mädchen, sie ist zirka sieben Jahre alt, habe Zahnschmerzen. Ob sie denn keine Zahnbürsten hätten, frage ich. Es sei nicht üblich, dass die Leute fern ab der Zivilisation die Zähne putzen, und zudem könne man Zahnbürsten nur weit weg in der Stadt kaufen. Wenigstens kann ich mit einer Packung Treupel (Schmerztabletten) für ihre Tochter aushelfen.

Es ist Mittag geworden, als ich einen Ausflug auf den Cerro Punopampa mache, ein Tafelberg ganz in der Nähe. Dieser ist oben völlig flach und wegen der sandigen Erde wurden Kartoffelfelder angelegt. Es ist sinnlos hier nach Kakteen zu suchen und ich kehre zurück zum Bauernhof. Als ich dort ankomme, bin ich überrascht, dass Jorge und seine junge Frau ihr ganzes Inventar aus dem Haus und der Scheune geräumt haben. Ich frage, ob sie gedenken wegzuziehen. Nein, sagt Jorge. Ein Mann aus der Stadt würde demnächst vorbeikommen, um das Haus und das ganze Inventar zu desinfizieren wegen der Zecken. Diese würden in Strohdächern leben und sich stark vermehren. Diese Biester hätten ihn gebissen und deshalb sei er nun krank geworden. Endlich begreife ich, wieso Jorge gesundheitlich angeschlagen ist. Weiter sagt Jorge, dass die Krankheit sehr gefährlich sein kann, ja sogar zum Tod führen könne, wenn man sich nicht medizinisch behandeln lässt.

Ich mache einen weiteren Ausflug auf die etwas südlich gelegenen Hügel. Ich brauche nicht lange zu suchen und finde auf Anhieb die ersten Sulcorebutien. Betrachtet man den Habitus, so sind klare Merkmale der Sulcorebutia tarabucoensis zu erkennen.

HJ 969 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
Estancia Puno, 2´735 m, östlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 969 - Klon 13, 14 und 15

Zurück im Bauernhof ist ein Mann von der Gesundheitsbehörde aus Sucre gerade daran, das ganze Inventar mit Zeckengift zu behandeln.

Beim desinfizieren des Inventars bei Jorge und seiner Frau auf der Estancia Puno

Da ich nur noch vier Fertigmahlzeiten habe, begnüge ich mich mit einem Müsli. Die Frau bringt mir drei Eier und drei Kartoffeln, die ich für den morgigen Ausflug in die Region des Cerro Pucapampa koche. Eigentlich wollte ich dieses Geschenk nicht annehmen, da sie ja selber sparsam mit Essen umgehen müssen. Doch die junge Frau ist fast etwas beleidigt, als ich ihr Angebot nur zögerlich angenommen habe.






Estancia Puno - Samstag, 5. Dezember

Das Gegacker der Hühner hat mich früh aus dem Schlaf gerissen. Das ist gut so, denn der heutige Ausflug wird lang und anstrengend werden. Auf der Strasse wandere ich weiter nach Osten. Diese mündet bald in einen Fussweg, der steil in die vierhundert Meter tiefe Quebrada Chimori hinunterführt. Nachdem ich dieses locker bewaldete Gebiet verlasse, geht es wieder steil hoch in die Region der Estancia Puca Pampa. In höheren Lagen suche ich vergeblich nach Sulcorebutien. Trotzdem gibt es eine Überraschung, denn zwischen Steinen und Gräsern wachsen Parodien. Die aus Samen herangewachsenen Pflanzen haben gezeigt, dass diese in den Formenkreis der Parodia prestoensis gehören.

HJ 970 Parodia prestoensis fa.
Estancia Puca Pampa, 2´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 970 - Klon 1, 3 und 8

Als ich weiter in Richtung Cerro Pucapampa hochsteige, entlädt sich unerwartet ein heftiges Gewitter. Zum Glück habe ich die nötige Ausrüstung dabei. Der sintflutartige Regen geht später über in fingerdicke Hagelkörner. Wie eine Vogelscheuche stehe ich am Steilhang und schaue, dass das viele Wasser nicht in die Schuhe läuft. Es kracht ohrenbetäubend und die Blitze zischen ganz in der Nähe in die Felsen. Die Sintflut dauerte fast eine Stunde, und obwohl gut geschützt, bin ich völlig durchnässt und friere wie ein Schlosshund. Dennoch möchte ich meine Mission nicht abbrechen und steige weiter hoch bis auf den Cerro Pucapampa. Doch auch in der Gipfelregion, wo es ideale Bedingungen gibt, blieb die Suche nach Sulcorebutien lange erfolglos. Erst nach intensivem Absuchen dieser felsigen Region wurde ich endlich fündig. Diese kleinen sprossenden Pflanzen zeigen farbliche Unterschiede der Epidermis und Bedornung. Da es keine Blüten gibt, ist es schwierig, an Ort eine Diagnose zu machen.

Erst Jahre später, als die aus Samen herangezogenen Pflanzen erstmals blühten, wurde klar, dass diese ebenfalls in den Formenkreis der Sulcorebutia tarabucoensis einzuordnen sind.

HJ 971 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
Cerro Pucapampa, 2´660 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 971 - Klon 3, 4, 11 und 14

Kutlurpflanzen: HJ 971 - Klon 24, 28, 44 und 70

Auf dem Rückweg ins Camp sind die auf alten Akazien wachsenden Lepismium ianthothele kaum zu übersehen. Diese strauchartigen epiphytischen Pflanzen, mit 3 - 4 kantigen, meist ausgebreiteten oder hängenden Segmenten, wachsen in Astgabeln oder auf horizontal ausgebreiteten Ästen. Sie sind im mittleren Bolivien bis Nordargentinien weit verbreitet. Die mit Borsten besetzten, saftigen Früchte werden durch Vögel verbreitet. Bereits in den achtziger Jahren habe ich in Südbolivien Samen gesammelt unter der Feldnummer HJ 599.

HJ 599 Lepismium ianthothele
Cerro Carrerapampa, 2´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Zurück beim Camp gibt es eine böse Überraschung. Die sintflutartigen Regenfälle haben das Zeltinnere mit Schlamm gefüllt. Zum Glück konnte ich meinen Rucksack bei Jorge im Haus deponieren. Doch das Zelt muss vom Schutt befreit und im nahegelegenen Bach gewaschen werden. Es hat zum Glück noch gereicht, dieses an den abendlichen Sonnenstrahlen zu trocknen.






Estancia Puno - Sonntag, 6. Dezember

Ich nehme nur ungern Abschied von dieser gastfreundlichen Familie. Die Armut und die Krankheit von Jorge beschäftigten mich sehr. Ich gebe der Familie genügend Geld, um nach Sucre reisen zu können. Dort kann Jorge gratis eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen und sicherlich reicht das Geld auch für neue Kleider der Kinder. Die Frau schenkt mir nochmals vier gekochte Eier und wünscht mir viel Glück.

Auf der Strasse wandere ich Richtung Süden. Schon bald fängt es wieder leicht an zu regnen. Dort, wo das Gelände steil abfällt, wachsen dieselben Sulcos wie die bereits gefundene HJ 969. Später führt die Strasse seitlich am Gebirge entlang und an einigen Orten gibt es quarzhaltiges Gestein. Zu meiner Überraschung wächst dort die von Ralf Hillmann gefundene Sulcorebutia tarabucoensis ssp. patriciae. Sie sind meist so dicht behaart, dass man den Habitus nicht erkennen kann, wirklich tolle Pflanzen. Es gibt nur diesen kleinen Standort und einige wenige Pflanzen weiter südlich.

HJ 972 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. patriciae
Durazniyoj-Puno, 2´600 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 972 - Klon 2, 3, 5, 9, 10 und 11

Kutlurpflanzen: HJ 972 - Klon 12, 14 und 15

Ein Stück weiter auf der Landstrasse nehme ich oben auf dem Pass den Fussweg nach Osten. Bevor ich auf diesem Gebirgszug weiter wandere, steige ich in eine enge, mit Pampasgras bewachsene Bachrunse. Pampasgräser bedeuten, dass es vermutlich Wasser gibt, und so war es auch. Vollgetankt geht es weiter und schon bald entdecke ich zwischen Steinen und Gras wieder Sulcorebutien. Schon beim ersten Betrachten dieser Pflanzen wird klar, dass es sich wieder um Formen von Sulcorebutien tarabucoensis handelt, die HJ 973.

Kutlurpflanzen: HJ 973 Klon 2, 3, 6, 7, 14, 20 und 44 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
Durazniyoj Loma, 2´800 m, westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Der offizielle Weg führt hier steil hinab nach Osten. Ich möchte jedoch weiter hochsteigen und erreiche bald den höchsten Punkt, die Sillani Loma. Hier oben auf den weiten flachen Wiesen gibt es genügend Platzt, um das Zelt aufzubauen. Doch dann kommt eine böse Überraschung. Beim Aufblasen der Liegematte stelle ich fest, dass es ein grösseres Leck gibt, ein Dreiangel, der kaum zu übersehen ist. Wie dieser entstanden ist, bleibt ein Rätsel. Damit das Reparaturkit schneller auf der Matte trocknet, beschwere ich dieses auf einem flachen Stein mit der heissen Teepfanne. Wie meistens nach einem anstrengenden Tag mache ich noch einen abendlichen Rundgang. Auf dieser hügligen kleinen Hochebene braucht man kein Adlerauge zu haben, um die zahlreichen Sulcorebutien zu entdecken, man sieht sie überall, oft in grossen Gruppen. Im sandigen Boden können sie bis 2 cm dick werden. Auch diese Pflanzen sind zweifellos in den Formenkreis der Sulcorebutia tarabucoensis einzuordnen, es ist die HJ 974.

Nach diesem meist bewölkten und teilweise regnerischen Tag zeigt sich die Sonne am späten Nachmittag in klarer Luft und projiziert Licht und Schatten in die weitsichtige Landschaft.

HJ 974 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
Sillani Loma, 2´900 m westlich von Presto, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 974 - Klon 1, 3, 5, 10 und 11






Sillani Loma - Montag, 7. Dezember

Am Horizont färbt sich der Himmel in allen möglichen Farben. Mit einer Tasse Tee in der Hand stehe ich neben dem fertig gepackten Rucksack und bewundere dieses Farbenspiel. Ich wandere über feuchte, von Tau bedeckte Wiesen und die ersten Sonnenstrahlen verbreiten einen würzigen Duft. Immer wieder suche ich nach Möglichkeiten, an der steilen nach Osten ausgerichteten Bergflanke abzusteigen, um wieder auf den richtigen Weg zu gelangen. Ich bin schon fast am Ende dieses Tafelbergs, als ich sehe, dass zwei Kinder mit ihren Ziegen an dieser Bergflanke hochsteigen. Ich beobachte genau, wo sie das Plateau erreichen. Diesen Trampelpfad kann man kaum erkennen und ist beim Absteigen dementsprechend anspruchsvoll. Ein Ausrutscher kann bedeuten, dass man hundert Meter über die Felsen stürzt. Ich nehme mir viel Zeit, denn jeder Fusstritt muss sitzen.

Unten angekommen, gelange ich wieder auf den normalen Weg, der auf einem Gebirgskamm weiter nach Osten führt. Schon bald entdecke ich erneut eine Population von Sulcorebutien tarabucoensis, die HJ 975. Auffallend bei diesen Pflanzen ist die meist hellgrüne Epidermis und die hellfarbige Bedornung. Ähnliche Pflanzen habe ich bereits 1984 westlich von Zudañez gefunden.

HJ 975 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
östlich Sillani Loma, 2´700 m, 5 km nordwestlich Huancarani, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 975 - Klon 9, 10, 11, 12 und 50

Bei einem Indiohof werde ich unfreundlich von bellenden Hunden empfangen, und die Menschen flüchten aus Angst ins Haus. Wollte nur fragen, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Am nahegelegenen Bach kann ich mich seit langem wieder erfrischen und meine stinkenden Socken waschen. Über einen Sattel erreiche ich ein breites Tal und einen Bach mit viel fliessendem Wasser. Kinder sind am Baden und Spielen, und ich wollte da unbedingt dabei sein. So plansche ich mit ihnen und erfreue mich am kühlen Nass. Am liebsten wäre ich den ganzen Nachmittag darin sitzen geblieben, doch ich muss weiter. Ich erreiche Huancarani und weiter geht's auf einen kleinen Pass, wo es eine Fahrstrasse gibt, die auf die Hauptstrasse Zudañez-Tarabuco führt. Auf dieser wandere ich noch bis in den späten Nachmittag und campiere neben der Strasse. Ich bin überrascht, als am Abend noch so viele Leute mit Maultieren und Eseln unterwegs sind. Zum Glück grüssen sie nur freundlich und ziehen weiter. Ich koche meine letzte Mahlzeit, Nudeln mit Tomatensauce und zerkleinere die restliche Salami hinein.






Südlich von Huancarani - Dienstag, 8. Dezember

Bereits vor Sonnenaufgang mache ich mich auf den Weg. Es ist wolkenlos und hier auf nur noch 2300 m wird es früh morgens bereits unerträglich heiss. Immer wieder flüchte ich unter die wenigen Schattenbäume und mache längere Pausen. Ich bin ausgelaugt und bin des Öfteren eingeschlafen. Mein Wunsch ist, möglichst schnell nach Zudañez zu kommen. Es ist Nachmittag geworden, als plötzlich ein Pickup Truck gefahren kommt. Obwohl voll besetzt mit Leuten, gebe ich Zeichen zum Anhalten. Der junge Fahrer sagt, es gäbe immer Platz. Das ist, was ich in Bolivien immer wieder schätzen gelernt habe, es gibt immer eine Lösung. Der Mann bringt mich direkt nach Zudañez und erfreut sich am grosszügigen Trinkgeld.

Mitten im Zentrum finde ich ein schönes Zimmer im Hostal Boliviano. Auf der Rückseite hat man einen schönen Blick auf die Anbaukulturen und den Cerro Ayrampo. Morgen möchte ich dort oben nach der Sulcorebutia rauschii suchen. Ich beabsichtige die restlichen Tage gemütlich hier in der Region zu verbringen. Bereits 1984 waren wir hier mit unserem VW-Bus auf der Durchreise und haben nach Kakteen gesucht. Bin also gespannt, was es noch alles zu entdecken gibt. Wie ein König lasse ich mich am Abend in einer Churrascaria kulinarisch verwöhnen und geniesse wieder einmal eine kühle Blonde. Als krönender Abschluss eine warme Dusche und ein bequemes Bett, was will man mehr.






Zudañez - Mittwoch, 9. Dezember

Nach einem ausgiebigen Frühstück, mit frischen Brötchen, verschieden Früchten und Säften, macht mir die Hausherrin ein grosses Sandwich zum Mitnehmen, und los geht's mit wenig Gepäck in Richtung Cerro Ayrampo. Ich überquere die Brücke des Rio Zudañez und danach geht es steil hoch, einen Weg gibt es nicht. Ich habe gehofft, bereits beim Aufstieg irgendwelche Kakteen zu finden, jedoch fehlgeschlagen. Erst ganz oben auf dem meist flachen Berg stehen diese begehrten Sulcorebutien rauschii gleich massenweise. Diese stark sprossenden Pflanzen zeigen grosse farbliche Unterschiede. So kann die Epidermis mehr grün sein oder rötlich-braun und die Dornen schwarz oder mehr braun.

HJ 976 Sulcorebutia rauschii
Cerro Ayrampo, 2´760 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 976 - Klon 4, 5, 11 und 12

Kutlurpflanzen: HJ 976 - Klon 15, 20, 29 und 30

Am selben Ort wächst vereinzelt auch die Lobivia cinnaberina var. grandiflora. Wie der Name besagt, hat diese eine wesentlich grössere und langröhrige Blüte im Vergleich zu anderen Formen aus der Region.

Lobivia cinnaberina var. grandiflora
Cerro Ayrampo, 2´760 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Ich bin überrascht über den kleinflächigen Standort der Sulcorebutia rauschii. Bereits zweihundert Meter weiter in Richtung Nordwesten sind keine mehr zu finden, obwohl die Bedingungen dieselben sind.

Trotzdem gibt es eine kleine Überraschung. Oft etwas versteckt zwischen Gräsern wachsen Parodien, die HJ 977. In der Literatur wird sie unter dem Namen Parodia tarabucina, syn. Parodia tuberculata aufgeführt.

HJ 977 Parodia tarabucina, syn. Parodia tuberculata
Cerro Ayrampo, 2´760 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 977 - Klon 3, 4 und 5

Ohne einen Weg wandere ich weiter auf diesem hügeligen Gebirgskamm in Richtung Nordwesten. Obwohl die geologischen Bedingungen überall dieselben sind, wachsen erstaunlicherweise keine Sulcorebutien mehr. Erst nach ca. 3 km entdecke ich eine sehr kleine Population von Sulcorebutien tarabucoensis, die HJ 978. Die hell bis dunkelgrüne Körperfarbe und die weisse Bedornung ist vergleichbar mit meiner vor zwei Tagen gefundenen HJ 975.

HJ 978 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
3 km nordwestlich Cerro Ayrampo, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 978 - Klon 2 und 4

Nur wenige hundert Meter weiter auf gleicher Höhe entdecke ich wieder Formen von Suclorebutien tarabucoensis, die HJ 979. Sie sind kleiner im Wuchs, und die Bedornung etwas dichter als die vorhergehenden.

HJ 979 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
3,5 km nordwestlich Cerro Ayrampo, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanze: HJ 979 - Klon 7

Ich verlasse den Gebirgskamm und steige nach Westen ab in Richtung Rio Zudañez. Kurz vor dem Erreichen des Flusstales entdecke ich auf einem Felsband erneut Suclorebutien, die HJ 980. Sie ist der Letztgefundenen sehr ähnlich. Doch wegen der unregelmässig und dichten Bedornung betrachte ich sie als Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii.

HJ 980 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
4 km nordwestlich Cerro Ayrampo, Zudañez, 2´560 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 980 - Klon 5 und 6






Zudañez - Mittwoch, 10 Dezember

Heute beabsichtige ich auf demselben Gebirgszug von gestern nach Süden zu wandern. Ich kaufe noch Verpflegung und setzte meine Schuhsohlen in Betrieb. Nach viel Staub schlucken entlang der Landstrasse finde ich einen begehbaren Weg in die Berge. Der Himmel ist wolkenlos und wegen der geringen Höhe ist es bereits unangenehm heiss. Schattenbäume sucht man vergebens. Nach dreihundert Höhenmeter Aufstieg entdecke ich im steinigen und mehr flachen Gelände die typischen, meist langhaarigen Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii. Oft bedecken die Haare den Körper vollständig. Es gibt aber auch Pflanzen mit spärlicher Bedornung.

In der Literatur wird sie auch aufgeführt als variable Form von Sulcorebutia canigueralii ssp. crispata.

HJ 981 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
2 km südöstlich Zudañez, 2´700 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 981 - Klon 1, 3, 8, 16 und 20

Auf demselben Gebirgskamm wandere ich weiter und entdecke in kurzen Abständen wieder verschiedene Populationen von Sulcorebutia tarabucoensis. Die Erstgefundene, die HJ 982, zeigt wieder eine kürzere und kammförmige Bedornung. Dennoch betrachte ich sie als Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii. Das Gleiche gilt für die wenige hundert Meter weiter gefundene HJ 983. In schwierigem Gelände steige ich weiter hoch bis in die Region des Cerro Salvingyoj Khasa auf 2´820 m. Dort auf einer kleinen Ebene tief im sandig-kiesigen Boden entdecke ich zu meiner Überraschung ein völlig neues Gesicht einer weiteren Form von Sulcorebutia tarabucoensis, die HJ 984. Auffallend an diesen sind die kurzen kammförmig und krallenartigen Dornen auf den wulstigen Höckern. Es kann angenommen werden, dass diese Form nur in höheren Lagen zu finden ist.

Standort der Sulcorebutia HJ 981, HJ 982, HJ 983 und HJ 984

Kutlurpflanzen: HJ 982 Klon 1 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
2,5 km südöstlich Zudañez, 2´710 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 983 Klon 1 und 4 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
2,5 km südöstlich Zudañez, 2´770 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

HJ 984 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
Cerro Salvingyoj Khasa, 2´800 m, 3 km südöstlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 984 - Klon 1, 15 und 18

Auf einem halbwegs ersichtlichen Weg steige ich in felsigem Gelände nach Westen ab in ein Seitental. Endlich gibt es an einem ausgetrockneten Bachbett Schattenbäume, wo ich mich verpflegen kann. Beim weiteren Aufstieg nach Westen auf dem Cerro Santa Barbara wachsen wieder Formen von Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii, die HJ 985, die sich von den bereits Gefundenen kaum unterscheiden. Wie vermutet, wachsen auch oben auf dem Berg an höchster Stelle Formen von Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii, die HJ 986. Die verschiedenen Pflanzen zeigen vor allem in der Farbe der Epidermis und Länge der Dornen kleine Unterschiede. Nach meinen jetzigen Erkenntnissen kann angenommen werden, dass diese Pflanzen in der Region von Zudañez weitläufig verbreitet sind.

Kutlurpflanzen: HJ 986 - Klon 1, 4, 5, 8 und 21 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
Cerro Santa Barbara, 2´700 m, südöstlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 986 - Klon 30 und 53 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
Cerro Santa Barbara, 2´700 m, südöstlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Die Sonne steht tief am Horizont, als ich mich auf den Weg zurück nach Zudañez mache.






Zudañez - Donnerstag, 11. Dezember

Heute beabsichtige ich keine Ausflüge zu machen und bleibe in Zudañez. Ich mache mir einen gemütlichen Tag, wasche die vielen gefundenen Samen und trockne diese. Zum Glück habe ich genügend Samentüten von zu Hause mitgenommen. Ich lasse mir die Wäsche waschen und gehe etwas Feines essen. Am Abend habe ich mich auf das lang ersehnte Telefon nach Hause mit Dora gefreut.






Zudañez - Freitag, 12. Dezember

Bereits im Jahre 2000, als ich von Zudañez nach Valle Grande gewandert bin, habe ich den nördlichen Ausläufer des Cerro Calle Calle, östlich von Zudañez nach Kakteen erforscht. Heute möchte ich das zentrale Gebiet dieses imposanten Tafelbergs erkunden. Von meinem Hostal nehme ich eine Abkürzung und hüpfe von Stein zu Stein über das wenige Wasser des Rio Zudañez. Danach wandere ich auf der damals noch nicht asphaltierten Strasse wieder nach Osten und biege im nächsten Seitental ab nach Norden. Kurz vor der Estancia Calle Calle steige ich auf einem halbwegs ersichtlichen Weg den grasbewachsenen Steilhang sechshundert Höhenmeter hoch. Auf Felsen im Moos wachsen Echeverien und vereinzelt gibt es Chleistokakteen und Puyas. Auf dem Plateau angekommen, gehe ich langsam und aufmerksam an der Felskante entlang nach Süden. Ich wusste, dass die bereits bekannten und sehr kleinwüchsigen Sulcorebutien tarabucoensis var. callecallensis schwierig zu entdecken sind. Es scheint, als ob diese Pflanzen nicht sehr häufig zu finden sind, denn für lange Zeit blieb die Suche erfolglos. Doch dann auf 3´000 m zwischen lockerem Gestein konnte ich mich erstmals an diesen zierlichen Pflanzen erfreuen. Zuerst dachte ich, es gäbe nur wenige dieser 0,5 cm - 1,5 cm dicken Zwerge. Doch wenn man auf unangenehme Weise auf den Knien herumkriecht, stehen überall kleine Gruppen.

Die in Kultur aus Samen herangewachsenen Pflanzen zeigten, dass die Blüten doppelt oder dreimal so gross werden können wie die Pflanze selber. Die Farbe der Blüten sind vergleichbar mit der Sulcorebutia tarabucoensis var. tarabucoensis aus der Region von Tabrabuco.

HJ 987 Sulcorebutia tarabucoensis var. callecallensis
Cerro Calle Calle, 3´030 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 987 - Klon 2, 4, 5, 6, 8 und 11

Kutlurpflanzen: HJ 987 - Klon 12, 14 und 16

Oberhalb der steil abfallenden Felsen geht es weiter in noch höhere Lagen. Schon bald entdecke ich einen weiteren Standort, die HJ 988.

In Kultur hat sich gezeigt, dass es bei dieser Population auch Blüten gibt, deren Perigonblätter im äusseren Bereich mehr Magenta farbig sind. Es ist somit gut möglich, dass es in tieferen Lagen an unzugänglichen felsigen Steilhängen auch Mischformen mit der Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii gibt.

HJ 988 Sulcorebutia tarabucoensis var. callecallensis
Cerro Calle Calle, 3´120 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 988 - Klon 3, 4, 5, 6, 7 und 8

Kutlurpflanzen: HJ 988 - Klon 9, 12, 13 und 14

Kutlurpflanzen: HJ 988 - Klon 15, 16, 18 und 40

Auf meist flachem Gelände wandere ich weiter durch kuriose Felslandschaften in Richtung Ostseite des Gebirges. An den senkrecht aufgetürmten und quer geschichteten Sandsteinfelsen haben sich im Moos zahlreiche Aylostera fiebrigii angesiedelt, die HJ 989. Aber auch Puyas und Trichocereen haben hier ihren Platz gefunden.

HJ 989 Aylostera fiebrigii fa.
Cerro Calle Calle, 3´120 m, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 989 - Klon 3

Am Ostrand, wo das Gelände ebenfalls senkrecht in die Tiefe fällt, finde ich keine Sulcos mehr. Doch es gibt hier einen fantastischen Weitblick über die Klippen in die Landschaft nach Osten.

Blick vom Cerro Calle Calle nach Osten

Ganz im Norden des Gebirges, dort wo ich im Jahre 2000 die Sulcorebutia callecallensis HJ 849 gefunden habe, wandere ich weiter zur Estancia Callecallensis. Ich habe noch lange nach dieser Feldnummer gesucht, jedoch ohne Erfolg. Ziemlich k.o. erreiche ich auf demselben Weg kurz vor Dunkelheit Zudañez.






Zudañez - Samstag, 13. Dezember

Der heutige Ausflugstag wird leider mein letzter sein. Morgen werde ich nach Sucre zurückreisen.

Nach Südwesten nehme ich denselben Weg, auf dem ich meine erste Bolivien Wanderung von 1993 begonnen habe. Damals bin ich von Zudañez entlang der Cordillera Mandinga bis nach Azurduy im Süden gewandert, (siehe Etappe 9). Für längere Zeit folge ich dem Rio Jarca Mayu. Später suche ich einen geeigneten Aufstieg auf den Cerro Huara Khasa. Der ganze Berghang ist erodiert und ich rätsle, wie und wo ich am besten auf diesen Berg gelange. Die Sonne brennt bereits wie ein Brennglas und Schattenbäume gibt es keine. Doch irgendwann erreiche ich ein kompaktes abstehendes Felsband. Es war zu erwarten, dass sich hier die Sulcos wohlfühlen würden, und so ist es auch.

Einige Pflanzen zeigen ein typisches Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii-Gesicht mit teilweise langen, weissen und wirr ineinander verflochtenen feinen Dornen. Andere wiederum haben braune, kurze, feste und kammförmig angelegte Dornen. Diese ähneln der HJ 984, die ich vor drei Tagen gefunden habe. Ich befinde mich anscheinend in einer Höhenlage, wo diese beiden Formen aufeinandertreffen. Würde man bei all diesen unterschiedlichen Formen von Sulcorebutien tarabucoensis die Dornen abrasieren, so hätten vermutlich alle dieselben Gesichter. Ich registriere diese Population unter der Feldnummer HJ 990 Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii.

HJ 990 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii fa.
Cerro Huara Khasa, 2´760 m, südwestlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 990 - Klon 1, 13, 14 und 15

Kutlurpflanzen: HJ 990 - Klon 21, 44 und 55

Weiter oben in der Gipfelregion gibt es sandige Flächen zwischen Sandsteinfelsen. Zu meiner Überraschung stecken in diesen tief verborgenen grosse Gruppen von Sulcorebutien tarabucoensis, die HJ 991. Die bis zu 3 cm dicken und sehr flach kugeligen Pflanzen mit grossen Höckern und kurzen anliegenden Dornen sind mancherorts kaum sichtbar. Oft werden sie mit Sand durch Wind und Regen zugedeckt. Alle haben dieselben Gesichter. Ihr Aussehen ist vergleichbar mit der HJ 984, die ich vor drei Tagen ebenfalls im sandigen Boden in höheren Lagen gefunden habe.

HJ 991 Sulcorebutia tarabucoensis var./fa.
Cerro Huara Khasa, 2´850 m südwestlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 991 - Klon 4, 8, 12 und 15

Im Norden des Cerro Huara Khasa beim Abstieg ins Tal entdecke ich eine weitere, mehr kurz bedornte Form von Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii, die HJ 992.

Kutlurpflanzen: HJ 992 Klon 3 und 5 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii fa.
Cerro Huara Khasa, 2´800 m südwestlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

In sehr schwierigem und felsigen Gelände erreiche ich ein kleines Seitental des oberen Rio Jarca Mayu. Plötzlich werden Erinnerungen wach. Ich bin nämlich an den Ort gelangt, wo ich vor zehn Jahren auf meiner ersten Wanderung die erste Nacht verbracht habe, was für ein Zufall. Am Steilhang auf der Nordseite des Rio Jarca Mayu wachsen massenweise Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii. Es ist der Standort, den ich bereits am ersten Tag meiner Reise 1993 entdeckt habe. Damals gab ich diesen Pflanzen die Feldnummer HJ 401. Trotzdem mache ich eine neue Feldnummer, die HJ 993

HJ 993 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
Estancia Iscay Huasi, 2´600 m, südwestlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 993 - Klon 1, 5 und 7

Ich steige weiter nach Norden den Berg hoch, es ist Nachmittag und unerträglich heiss. Wie zu erwarten war, gibt es kurz vor dem Gipfel wieder Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii, die sich von den Letztgefundenen jedoch kaum unterscheiden.

Ganz oben auf dem Berg, wo es mehrheitlich flach ist, wachsen dieselben Formen von Sulcorebutien tarabucoensis ssp. hertusii. Trotzdem mache ich eine neue Feldnummer, die HJ 994.

HJ 994 Sulcorebutia tarabucoensis ssp. hertusii
Estancia Iscay Huasi, 2´730 m, südwestlich Zudañez, Dep. Chuquisaca, Provinz Jaime Zudañez, Bolivien

Kutlurpflanzen: HJ 994 - Klon 1, 4, 5, 16, 17 und 18

Plötzlich ziehen dicke Wolken auf und bald zischen Blitze nieder, mit lautem Donnern. Im Süden sieht es aus, als käme der Weltuntergang. Diese Drohkulisse macht mir richtig Angst. So schnell das eben geht, mache ich mich auf den Weg zurück nach Zudañez. Immer wieder gibt es heftige Regengüsse mit stürmischen Böen, dazwischen aber auch wieder kurze Pausen. Als ich in die Nähe des Rio Zudañez komme, höre ich ein lautes Rauschen. Ich dachte, kann es sein, dass dieser so viel Wasser führt? Als ich die Brücke bei Zudañez erreiche, konnte ich es fast nicht glauben so viel Wasser, bin ich doch gestern noch gemütlich über den Fluss spaziert. Kaum im Hostal angekommen, fängt es sintflutartig an zu regnen. Diese Heftigkeit zeigt, dass die lang ersehnte Regenzeit begonnen hat.

Der Rio Zudañez bei Zudañez nach starken Regenfällen

In der Churrascaria geniesse ich zum letzten Mal ein schmackhaftes Steak mit Pommes und Gemüse. Dabei lasse ich in Gedanken meine Reise noch einmal Revue passieren. Obwohl meine Reise zum Teil chaotisch und nicht ganz so verlaufen ist wie gewünscht und geplant, bin ich glücklich und zufrieden. Vor allem deshalb, weil ich mich von meiner Lungenentzündung in Chunca Cancha wieder gut erholt habe.

Erst wenn jemand einmal über das karge Hochland Boliviens gewandert ist und die einsame Schönheit der Natur und die Bescheidenheit der Menschen kennengelernt hat, kann er verstehen, dass man immer wieder gerne in dieses wunderbare Land zurückkehrt. Und natürlich sind da noch diese stacheligen Dinger und deren Vielfalt, die mich immer wieder faszinieren und ins Staunen bringen.

Doch was kann ich sonst noch mitnehmen von dieser Reise, abgesehen von der wilden, unberührten Natur und den abenteuerlichen Strapazen?

Vor allem konnte ich die Artenvielfalt verschiedener Sulcorebutien aus der Region von Presto bis Zudañez lokalisieren und kennenlernen. Erst wenn man zu Fuss in dieser Region unterwegs ist, kann man beobachten, wie viele der gefundenen Arten sich ähneln.

An den jeweiligen Fundorten findet man oft Überlappungen und Übergangsformen. Deshalb betrachtet man heute diese Taxa in der weiteren Umgebung von Presto und Zudañez als Synonyme zu Sulcorebutia canigueralii.






Zudañez - Sonntag, 14. Dezember

Gemütlich frühstücke ich, packe meine Sachen zusammen und erkundige mich, wann der nächste Bus nach Sucre fährt. Ich muss mich beeilen, er fährt in 10 Minuten. Ich bedanke mich beim Hotelbesitzer für den angenehmen einwöchigen Aufenthalt, der lediglich 30 US-Dollar gekostet hat.

Mit dem Bus von Zudañez nach Sucre

Als der Bus in der Cordillera Mandiga die steilen Serpentinen in Angriff nimmt, gibt es eine Überraschung. Der heftige Regen von gestern hat die Strasse mit Felsbrocken und Schutt zugedeckt. Ein Radbagger ist bereits mit Wegräumen beschäftigt, sodass wir nach kurzer Wartezeit weiterfahren können. Nach 4 Stunden Fahrt erreichen wir Sucre. Im Hotel Recoleta Sur, wo ich mein Handgepäck aufbewahren konnte, mache ich mich reisefertig und lasse mir den morgigen Flug nach La Paz bestätigen. Bald ist Weihnachten und wie immer nach einer Bolivien Reise kaufe ich noch Geschenke für meine Liebsten.




Sucre - Montag, 15. Dezember

Pünktlich um 11 Uhr hebt die Maschine der Areo Sur ab in Richtung La Paz. Das Wetter ist gut, mit klarer Sicht aufs Hochland. Nach sanfter Landung auf dem El Alto Flughafen fahre ich ins Hotel Oberland. Walter ist den ganzen Tag abwesend und so schreibe ich Postkarten. Danach geniesse ich ein Beef Stroganoff mit Spätzle nach Schweizer Art.




Mallasa, La Paz - Dienstag, 16. November

Ich bin gerade daran, ein vielfältiges Frühstück zu geniessen, als sich Walter zu mir setzt. Ich erzähle, wie es mir ergangen ist auf meiner bald fünfwöchigen Reise. Auch Walter hat viel zu erzählen, leider auch eine traurige und unglaubliche, tragische Geschichte. Ernesto, ein langjähriger Freund und ehemaliger Besitzer des Hotels Oberland, hat Besuch bekommen von seinem Bruder aus der Schweiz. Ernesto wollte mit seinem Bruder eine Reise durch Bolivien unternehmen. Doch so weit ist es nicht gekommen, denn sein Bruder erlitt einen Herzinfarkt und ist gestorben. Im selben Jahr ist Ernesto in die Schweiz gereist, um Familie und Freunde zu besuchen. Dabei erlitt er ebenfalls einen Herzinfarkt und ist gestorben.

Walter erzählt auch über den Aufstand in La Paz. Demonstranten hätten friedlich demonstriert und dabei habe die Polizei auf Befehl des Präsidenten auf sie geschossen. Dabei seien 70 Menschen gestorben. Der Präsident musste danach flüchten und bekam Asyl in den USA. Seither seien die Amerikaner hier in Bolivien nicht mehr erwünscht.

Mit dem Taxi fahre ich ins Stadtzentrum von La Paz, um weitere Weihnachtsgeschenke zu kaufen und bringe meine Postkarten auf die Post. Dabei ist wichtig, darauf zu achten, dass diese auch abgestempelt werden. Denn oft wird dies nicht gemacht. Die Marken werden wieder entfernt und weiterverkauft.

Da ich morgen nach Hause fliege, hat mich Walter zum Abendessen eingeladen. Wir machen uns einen feuchtfröhlichen Abend und erzählen uns weitere lustige und interessante Geschichten. Ich sage Walter, dass mich diese Reise bis ans Äusserste strapaziert habe und es möglicherweise meine letzte gewesen sei. Walter lacht und sagt, das würde ich jedes Mal am Ende einer Bolivien Reise sagen und sei dann im nächsten Jahr wiedergekommen. Recht hat er, und so wird es auch noch viele Jahre bleiben.




Literatur:
Gertel, W. (2004): Sulcorebutia juckeri (Cactaceae) - eine neue Art aus der Cordillera Mandinga, Bolivien - Kakt. and. Sukk. 55 (12): 332 - 338